Foto: Ralf Voigt |
„Ich habe
keine grosse Hoffnung mehr“, sagte Frau Fürst. Ich habe schon alles
ausprobiert. Und vieles hat mich auch weitergebracht – aber den entscheidenden
Schritt konnte ich noch nicht erkennen.
Es war
unser erstes Gespräch.
„Ich habe
da vielleicht eine tiefe innere Verweigerung“, fuhr sie fort.
Dann
erzählte sie mir ihre Geschichte, wie sie seit vielen Jahren einen Traum hat.
Was sie schon alles erreicht hat – aber wie der Traum noch immer auf Eis liegt.
„Vielleicht“, räumte sie ein „bin ich ja
innerlich noch nicht bereit.“
Es war ihr
wichtig, erst einmal die „ganze Geschichte“ zu erzählen. Ich hörte zu. Manchmal
wollte sie, dass ich etwas dazu sagte oder fragte, aber vor allem ging es um
das Zuhören.
Ich
kenne das mit den „Geschichten erzählen“. Ich meine, dieses auf eine besondere
Art eine Geschichte zu erzählen. Es erinnert mich daran, was mein Professor mir
einmal über den Aufsatz von Heinrich von Kleist erzählt hat.
Es geht „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“. Und
dann fügte mein Lehrer hinzu: Wenn ich an einer Rede arbeite, dann gehe ich in
die Küche zu meiner Mutter. Sie kann wunderbare Schokoladenkuchen backen – aber
sie hat keine Ahnung von französischer Literatur. Muss sie auch nicht. Es geht
darum, wie sie das, was ich sage, aufnimmt – ich beobachte sie dabei. Und es
geht darum, welche Gedanken und Gefühle mir bei meiner Rede kommen.
Ich habe mir seine Worte damals
sehr zu Herzen genommen und ich erzähle meine Reden dann immer einer imaginären
Person. Gewiss, mit einem leibhaftigen Menschen geht es besser. Und so war ich an
diesem Tag die „Mutter mit dem leckeren Schokoladenkuchen“ – und ich hörte zu.
Ich konnte sehen, wie Frau
Fürst, die ihre ganze Geschichte frei von der Leber erzählen konnte, immer
ruhiger wurde. Und nun viel klarer erkennen konnte, was noch fehlte.
Ich bat sie, diese
Erkenntnis kurz aufzuschreiben – mit dem Zusatz: „Ich wachse jetzt über mich
selbst hinaus“. Ungläubig schaute sie mich an.
„Wir sind noch nicht fertig“,
sagte ich. „Darf ich etwas hinzufügen“, fragte ich? Sie nickte und so zeichnete
ich eine Übung mit Lösung (Kognitionspsychologie) auf, die mir ein Student der
RWTH Aachen gezeigt hatte. Sie schaute noch ungläubiger. Aber, es schien ihr
Spass zu machen.
Wir legten, das Papier vor
uns in die Mitte und redeten weiter.
Plötzlich fasste sie sich an
den Kopf und sagte „Ich hab’s!“ Ja, sagte sie: „So muss sich Archimedes von
Syrakus gefühlt haben“. Dann erklärte sie mir in eiligen Worten, was sie immer
übersehen hat. Und fügte hinzu: „Ich weiss jetzt, was zu tun ist. Vor allem:
Ich fühle jetzt, was zu tun ist.“
Sie war ganz aufgeregt und
musste sofort ihrer besten Freundin eine sms senden.
Alles Weitere
war Routine. Wir besprachen, wie sie das, was sie erkannt hat, operationalisieren
kann. Und wenig später stand sie auf und machte ein paar Tanzschritte – und liess
sich schliesslich erleichtert in den Sessel fallen.
„Heureka!
Das war toll“, sagte Frau Fürst.
Lilli Cremer-Altgeld